In diesem Zusammenhang wird sich die Darstellung der »Dramaturgischen Homiletik« vor allem auf das Handwerkliche beschränken. Ausgangspunkt und Bezug sind die Arbeiten von Martin Nicol. Die folgende Darstellung orientiert sich an Martin Nicol: Einander ins Bild setzen. Dramaturgische Homiletik; 2. Auflage; Göttingen 2005 (mit Ergänzungen in kursiv)
1. Die Predigt wahrnehmen
■ Neueinsatz: Es geht beim Predigen nicht (mehr) darum, eine Wahrheit des Glaubens zu erklären (»reden drüber«), sondern Erfahrungen des Glaubens zu teilen (»reden in«). (25)
■ Predigt ist ein Ereignis in der Gotteswirklichkeit (»Lebensphänomen«), in dem Form und Inhalt untrennbar verbunden und aufeinander bezogen sind (»Gestalt«). (26)
■ Leben ist immer Gestalt, entfaltet. Die Zusammenfassung (und die Abstraktion) treiben dem Leben das Leben aus. (32)
■ Predigt ist eine Kunst unter Künsten, benachbart den »performing arts« (»zeitlich bewegte Abläufe, die auf ein Ereignis zielen« wie Tanz, Musik, Theater, Film). (34)
■ Predigt ist im weitestens Sinne »gestaltete Bewegung«. (34)
■ Als gestaltete Bewegung braucht Predigt die Spannungen – nicht um sie aufzulösen, sondern um eben diese Spannungen spannend zu gestalten. (36)
■ Gottesdienst ist (als dramatugisches Gesamtkonzept) »Weg im Geheimnis«. An diesem spannungsreichen Weg hat Predigt ihren eigenen Anteil. (41 ff.)
■ Die gottesdienstlichen Vollzüge auf dem Weg im Geheimnis sind darstellendes Handeln, nicht wirksames Handeln (Schleiermacher). (43)
■ Dieser Gedanke gilt auch für die Predigt: Sie ist darstellendes Handeln auf dem gottesdienstlichen Weg im Geheimnis. (44)
■ Predigt spricht anamnetisch: Sie redet von einem Anwesenden, gegebenenfalls mit ihm, keinesfalls aber über ihn, als ob er nicht da wäre. (44)
■ Predigt redet nicht über Ereignisse, sie ist Ereignis des Wortes Gottes, in dem Gott Menschen in seine Wirklichkeit hineinzieht (47); vgl. »dabar« (hebr. für Wort und Ereignis). (53)
■ Predigtarbeit begreift die vorliegenden biblischen Texte als »angehaltene Aufführung« (Verschriftlichung einer mündlichen Tradition), die durch die Aufführung wieder in Bewegung gebracht wird (59)
■ Umfassender: Das (biblische und kirchengeschichtliche) Wechselspiel von Produktion und Rezeption, von Texten und Kontexten wird durch eine Predigt (nur) fortgesetzt. (61)
■ Predigtarbeit und Predigt bringen deshalb Text und Texte und Kontexte kunstvoll miteinander ins Spiel und verdeutlichen Bezüge, Erhellungen und Spannungen. (61)
■ Der Hörer wird zum Mitspieler, zum Subjekt im Predigtgeschehen. (62)
■ Predigt als Kunstwerk ist offen, aber nicht beliebig. (63) Sie oszilliert zwischen Information und Imagination (66)
■ Predigen ist eine Kunst. Zu jeder Kunst gehört (auch) ein Handwerk, aber Kunst und Handwerk lassen sich unterscheiden: Dem (reinen) Handwerk wohnt die Idee des Verfügbaren inne, des kalkulierten Gelingens, der Perfektion. (70 f.)
■ Deshalb lautet das Leitbild und das Verb zur Predigt-Kunst: »Predigtmachen«. (71)
2. Die Predigt gestalten
■ Biblische Texte lassen sich (ohne Ausnahme) als spannungsreiche Folge von Bildern, Szenen usw. verstehen, die voller Spannungen sind: Brüche im Text, Widersprüche im Text oder zwischen Texten, Polaritäten, Spannungen zwischen Texten, Spannungen zwischen Text und Kontexten, … (72)
■ Die Wege, solche Spannungen aufzuspüren, sind vielfältig: Etwa die eigene Person und die Bibelperformances, die Liturgie des Gottesdienstes und die Exegese, die Begegung mit der Kunst und Begegnung mit den Alltagen, der Rückgriff auf Theologie und der Blick auf andere Predigten. (78 – 101)
3. Die Predigt erstellen
■ Die kleine Einheit der Predigt ist der »Move« (die Szene, der Abschnitt, …).
■ Der Move hat einen griffigen aussagekräftigen Titel (Überschrift), ein entsprechendes Mitel (Textform, Sprache, …) und eine einzige übergeordnete Wirkabsicht
■ Der Move hat einen klar hörbaren und damit erkennbaren Anfang und ein Ende.
■ Der Move hat möglichst konkretes Material, ist im Wortsinn »anschaulich«.
■ Der Move hat einen Spannungsbogen – vom Anfang bis zum Ende. (auch Bild, Entwicklung eines Gedankens, …)
■ Der Move ist »gestaltete Bewegung«, vom Anfang bis zum Ende.
■ Formale Kennzeichen eines Moves könnten sein:
• eine einzige erkennbare sprachliche Form (Textform, Perspektive, …)
• ein erkennbarer Inhalt (»Inventar«, Thema, …)
• eine einzige Wirkabsicht
• ein wirksamer Umfang
■ Die Moves kommen in einer »Structure« zusammen, bilden einen großen Predigt-Zusammenhang.
■ Die Structure sucht nach einem großen Spannungsbogen, nach der Gesamt-Dramaturgie.
4. »Predigt als Ereignis« besprechen
■ Wenn es darum geht, »einander ins Bild zu setzen«, dann gehört die Rückkopplung der Gemeinde an die predigende Person unbedingt zum Predigen dazu – sie vervollständigt im eigentlich Sinn die Predigt. (124)
■ Die Gemeinde erlebt den Gottesdienst und in ihm die Predigt. Davon ist zu sprechen, »in einer Sprache, die aus dem Glauben kommt.« (124) (Mögliche Aspekte: 131)
■ Daneben stehen eher analytische Zugänge, die etwa aus rhetorischen oder theologischen Perspektiven stammen. (128 f.)