Die erste Fassung des Manuskriptes ist in der Regel nicht die letzte. Denn die Über-Arbeitung macht den Text erst wirksam. Und ist deshalb immer nötig. Zentral bei der Über-Arbeitung sollte also immer die Frage nach der Wirkabsicht bzw. dem Ziel sein.
Ideal für ein Über-Arbeiten ist das Vier-Augen-Prinzip, also das Lektorat durch eine andere Person mit geklärten Kriterien. Dieses Ideal lässt sich im Alltag nicht immer verwirklichen. Deshalb lohnt sich die Beschäftigung mit dem Selbstlektorat.
Im Selbstlektorat bedeutet das Über-Arbeiten: Das eigene Manuskript (noch) wirksamer zu machen. Daraus ergeben sich vier unterschiedliche Perspektiven für die Über-Arbeitung:
Die übergeordnete Perspektive, abgeleitet aus dem Modell »Predigt als funktionale Kommunikation«, sind Ziel und das Maß der Zielführung (darin unweigerlich: Annahmen über Absender*in und Adressat*innen) – wie kann der Text noch wirksamer werden?
Diese übergeordnete Perspektive entfaltet sich – im Rahmen des Modells der Dramaturgischen Homiletik – in drei weitere:
■ Inhalt und Theologie (Aussagen und Hintergründe)
■ Form: Move und Structure (regelgerechte Moves, funktionierende Dramaturgie, …)
■ Sprache und Stil (anschlussfähig, aufmerksamkeitswirksam, formgerecht, …)
Im Detail:
■ Zu Inhalt und Theologie
• Wie ist das Predigtmanuskript eingebettet in das homiletische Fünfeck und in die Frage nach der fünfseitigen Angemessenheit, also: Dem Text gerecht? | Den Adressat*innen gerecht? | Der predigenden Person gerecht? | Dem heiligen Geist gerecht? | Dem Gottesdienst als liturgischem und räumlichem Kontext gerecht?
• Welche theologischen Themen werden berührt? Wie ist deren Einbettung in protestantische Dogmatik und Ethik?
• …
■ Zu Form: Move und Structure
• Welche Moves sind im Manuskript erkennbar?
• Haben diese Moves ein klares Ziel und eine klare einheitliche Form?
• Haben die Moves eine angemessene Länge?
• Haben die Moves einen gestalteten Anfang und ein gestaltetes Ende?
• Haben die Moves einen Aufbau, gegebenenfalls einen Spannunsgbogen?
• Verwenden die Moves eine Sprache, die der Form angemessen ist?
• Unterscheiden sich die Moves hinreichend voneinander?
• …
• Welche Structure ist im Manuskript erkennbar?
• Wirkt die Structure zielführend?
• Hat die Structure eine angemessene Länge?
• Hat die Structure einen gestalteten Anfang und ein gestaltetes Ende?
• Hat die Structure einen Spannungsbogen?
• …
■ Zu Sprache und Stil
Eine mögliche Abfolge der Perspektiven im Lektorat mit dem Schwerpunkt Sprache:
• Stimmen die Wahl der Textform (»Move«) und Wahl der Sprache überein?
• Sind Wörter, Sätze oder Abschnitte mit Blick auf die Zielführung entbehrlich?
(Im Zweifel: Streichen!)
• Ist das »Inventar« (Personen, Orte, Zeiten, Begriffe, …) für die Zielführung angemessen (nicht zu viel, nicht zu wenig)?
• Stimmen die Einführungen und Ausführungen des »Inventars«?
• Sind die Sätze kurz genug zum hörenden Wahrnehmen?
• Ist der Satzbau übersichtlich und abwechslungsreich (genug)?
• Ist jedes einzelne Wort verständlich? (Über-Setzen oder beiläufig erklären)
• So wenig Substantivierungen wie nötig?
• So viele echte Verben (im Aktiv) wie möglich?
• Wohin fließt die Energie beim Hören bzw. Lesen? Zielführend?
• …
Zum Abschluss kleine persönlich gefärbte Hinweise zum (Selbst)Lektorat:
• Den Hörenden schon auf der Manuskriptebene Zeit und Raum lassen (Für uns Hörende ist es die Erstbegegnung!)
• In der Regel: Vielzahl reduzieren (Vielzahl von Gedanken, Beispiele, Aufzählungen, …)
• Konkret und anschaulich werden und bleiben (so viele Bilder im Kopf der Adressat*innen erzeugen wie möglich)
• Eine Predigt ist ein Werkstück – bitte keinen Bericht aus der Werkstatt liefern (»Als ich am Montag dieser Bibelstelle begegnete, dachte ich mir …«)